
Bahnprotest an Ober- und Hoch-Rhein
Resolution der Interessengemeinschaft Bahnprotest an
Ober- und Hoch-Rhein (IG BOHR) zum Ausbau der Rheintalbahn und zu den
Bypass-Plänen der Deutschen Bahn AG an Ober- und Hochrhein
April 2004
Nach den Planungen der Deutschen Bahn AG wird zwischen
Offenburg und Weil am Rhein mit der neuen Schienentrasse (3. und 4. Gleis
der Rheintalbahn) die mit am stärksten belastete Gütertransitstrecke
Europas entstehen. Der mit dem hohen Güterzugaufkommen sich abzeichnende
Engpass im Raum Basel soll durch eine Umfahrung Basels am Hochrhein entlang
(Hochrhein-Bypass) umgangen werden. Beim viergleisigen Ausbau der Rheintalbahn
handelt es sich um ein Jahrhundert-projekt, das die Regionen an Ober-
und Hochrhein für Generationen prägen und nachhaltige Auswirkungen
auf die hier lebenden Menschen haben wird.
Infolge der Realisierung der neuen Eisenbahn-Alpen-Transversale
(NEAT), die vom Grundsatz her zu begrüßen ist und die Voraussetzung
für die verkehrspolitisch sinnvolle Verlagerung des Güterverkehrs
von der Straße auf die Schiene schafft, ist damit zu rechnen, dass
die Anrainerbevölkerung an den Zulieferstrecken mit Schienenverkehrslärm
extrem stark belastet wird. Im Bundesverkehrswegeplan 2003 ist von täglich
508 Zügen die Rede, mit einem Anteil von 280 Güterzügen.
Davon werden nach den Planungen der DB AG 125 am Tage und 155 nachts verkehren.
Letzteres bedeutet einen Güterzugverkehr im Dreiminutentakt. Doch
damit nicht genug. Geplant ist die Aufnahme weiterer Güterzüge
aus Frankreich im Zuge des ansteigenden Güteraustauschs zwischen
Südwest- und Nordwesteuropa. Zur Entlastung französischer Schienenstrecken
vom Güterverkehr, der den Personenschnellverkehr behindern würde,
ist vorgesehen, bei Chalampé auf der Strecke Mülhausen-Müllheim
und bei Kehl auf der Strecke Straßburg-Offenburg weitere Güterzüge
auf die Rheintalbahn zu leiten, nach Planung der Bahnen bis zu 210 Güterzüge
täglich (Oberrhein-Bypass). Diese dann rund 500 Güterzüge
bedeuten einen Dreiminutentakt rund um die Uhr.
Im Hinblick auf die Kapazitäten der beiden NEAT-Tunnel
Gotthard und Lötschberg ist künftig sogar noch mit einer Erhöhung
dieser Zahl zu rechnen. Die Kapazitäten liegen beim Gotthard bei
täglich 216 Güterzügen, beim Lötschberg bei täglich
108 Güterzügen, in der Summe also bei 324 Güterzügen
mit jeweils 1500 m Länge. Das entspricht ca. 900 Güterzügen
mit heute üblicher Länge von 550 m, die zu- und abgeführt
werden müssen. Es ist zu erwarten, dass die Rheintalstrecke den Großteil
dieser Zugbewegungen aufnehmen wird. Dies ist von deutscher Seite politisch
gewollt, um die Einnahmenseite der DB AG auf ihrem Weg zur Börsenfähigkeit
zu verbessern. Allein auf der Strecke Offenburg-Weil dürfte die DB
Netz AG bei Vollauslastung Trassengelder in der Größenordnung
von 100 Mio. Euro pro Jahr erlösen.
Mittelfristig kommt also auf die Bevölkerung an Ober-
und Hochrhein eine Belastung durch Schienenverkehrslärm zu, die insbesondere
durch die Güterzüge mit ihren hohen Schallemissionen bei Vorbeifahrpegeln
von über 100 dB(A) ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreichen
wird. Die Folge wird eine massive Verlärmung der Ober- und Hochrheinregion
sein. Die bisher vorgelegten Planungen der DB AG lassen befürchten,
dass auf die Belange der südbadischen Bevölkerung und ihre sensible
Umwelt wenig Rücksicht genommen wird. Durch die einseitig die DB
AG bevorzugende Rechtslage wird der entstehende Lärm aufgrund unzureichender
Lärmschutzmaßnahmen (16. BImSchV statt DIN 18005 oder TA Lärm)
die Bürger der Ortschaften entlang der Trasse besonders in der Nacht
nervtötend beschallen. Dies wird zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung
ihrer Lebensqualität führen, verbunden mit gesundheitlichen
Folgeschäden durch die gestörte Nachtruhe und lärmbedingter
allgemeiner Leistungsminderung. Hinzu kommt eine Beschneidung der Entwicklungsperspektiven
der Anliegergemeinden, eine Schwächung ihrer Wirtschaftskraft mit
erheblichen Einbußen an Einkommen und Steuern sowie ein immenser
Verlust von Immobilienwerten in Bereichen, die bisher dem Güterzuglärm
nicht ausgesetzt waren. Hohe Überwerfungsbauwerke und Dämme
werden das Landschaftsbild und hohe Lärmschutzwände die Ortschaften
teilen und das Ortschaftsbild verunstalten. Stellenweise kommt es zu erheblichen
Verlusten an wertvollen landwirtschaftlichen Flächen und damit zu
einer Abnahme der Wirtschaftlichkeit bäuerlicher Betriebe bis hin
zur Existenzgefährdung. Des weiteren wird es zu einer starken Belastung
der Bevölkerung durch krankmachende Feinstäube, Erschütterungen,
Elektrosmog sowie die 4-5 jährige Bauphase direkt neben Wohnsiedlungen
kommen. Befürchtet wird eine größere Gesundheitsgefährdung
der Bevölkerung durch eine Vervielfachung der jetzigen Gefahrguttransporte.
Schließlich wird es durch hohe Lärmschutzwände zu einer
Verschattung und zu einer Verschlechterung des Kleinklimas für angrenzende
Wohnbereiche sowie des Stadtklimas und des Luftaustausches kommen, insbesondere
wegen der im Rheintal häufigen Inversionswetterlagen. Der Hochrhein-Bypass
darf nicht realisiert werden; von der Schweiz ist die Einhaltung der Verträge
(1996 mit Deutschland und 1999 mit der EU) einzufordern, die das Territorialprinzip
vorsehen.
Die Bahnpläne stoßen auf den massiven Protest
der südbadischen Bevölkerung, der sich zunehmend großräumiger
und heftiger formiert. Die südbadischen Bürgerinitiativen
- Arbeitskreis Bahn der Offenburger Bürgervereine
- Bürgerprotest Bahn Herbolzheim/Kenzingen
- Mensch- und Umwelt schonende DB-Trasse Nördliches Markgräflerland
- Interessengemeinschaft Katzenbergtunnel Bad Bellingen
- Gegen den Hochrhein-Bypass Grenzach-Wyhlen
- Gegen den Hochrhein-Bypass Rheinfelden
- Gegen den Hochrhein-Bypass Schwörstadt
- Bypass Bad Säckingen-Wallbach
kämpfen gegen die unzureichende Qualität der
Baumaßnahme im Hinblick auf Lärm-, Landschafts- und Flächenschutz
sowie gegen den Hochrhein-Bypass. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen
baut die DB AG mit einem Minimum an Kosten und bürdet die daraus
entstehenden Folgekosten den betroffenen Gemeinden und ihren Bürgern
auf.
Die in der IG BOHR zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen
haben diverse Verbesserungsvorschläge in den Planungsprozess der
DB AG eingebracht. In den Bereichen Offenburg und Herbolzheim/Kenzingen
wird die Westumfahrung der Ortschaften gefordert, um die Güterzüge
von den Innenstädten fernzuhalten. Die Gemeinden verlangen das gleiche
Recht, das auch der Stadt Freiburg zugebilligt wurde. Die Rücksichtnahme
auf Freiburg hat die Bevölkerung im Nördlichen Markgräflerland
in größte Schwierigkeiten gebracht: Das 3. und 4. Gleis führt
ausschließlich Güterzüge quer durch eine bisher nahezu
unverlärmte Raumschaft, verunstaltet mit einem hohen Damm die Landschaft
und kostet die Landwirtschaft einschließlich der Ausgleichsflächen
fast 100 ha wertvollstes Ackerland. Im Bereich Bad Bellingen bis Eimeldingen
ist die Streckenführung bereits beschlossene Sache, gegen die Interessen
der betroffenen Gemeinden und zu Lasten ihrer Einwohner. Am Hochrhein
ist der Ausbau einer hochbelasteten Güterstrecke geplant, um das
Nadelöhr Basel zu umfahren. Gegen diesen Hochrhein-Bypass läuft
die Bevölkerung Sturm und fordert, dass die Schweiz ihr Engpassproblem
auf eigenem Territorium löst.
Die IG BOHR fordert, dass die Billiglösung der Bahn
einer wert- und nachhaltigen, ökologisch sinnvollen Lösung Platz
macht. Die DB AG mit ihren Tochterunternehmen, das im Bundesauftrag handelnde
Eisenbahnbundesamt und das die Baumaßnahme tragende Bundesressort
müssen sich im Hinblick auf die Akzeptanz und die Realisierbarkeit
ihres gesamten Vorhabens ihrer Verantwortung für die südbadische
Region und die hier lebenden Menschen bewusst werden. Die vorrangige Orientierung
an den Kosten muss aufgegeben werden.
Es kann nicht sein, dass die Entlastung der Städte
Freiburg und Basel vom Güterzugverkehr anderen Gemeinden aufgebürdet
wird. Die Gemeinden am Oberrhein fordern einen gerechten Ausgleich die
sich abzeichnenden Nachteile, die sie hinnehmen müssen. Vorschläge
für die Gestaltung eines solchen Ausgleichs sind der DB AG bekannt.
Der Bund als Auftraggeber und die DB AG als Nutznießer der neuen
viergleisigen Rheintalbahn haben für eine angemessene Finanzierung
dieses Ausgleichs Sorge zu tragen. Wegen der hochrangigen Priorität
des Vorhabens sind die erforderlichen Mittel aufzubringen. Da sie sich
über eine Bauzeit von mehreren Jahren verteilen, bleiben die Mehrkosten
in einem akzeptablen Rahmen. Der Vorwurf, die geforderten Mehrkosten führten
zu einem Scheitern des Gesamtprojekts, ist unsinnig. Das Gegenteil ist
der Fall. Werden sie nicht bereitgestellt, ist die Realisierung der Baumaßnahme
durch den anhaltenden Protest der Bevölkerung sehr viel eher gefährdet.
Wird sie gegen die Interessen und den Willen der Bevölkerung dennoch
gebaut, wird die Region ein stetiger Unruheherd bleiben. Die Bahnplaner
und ihre Auftraggeber müssen endlich begreifen, dass es um die allgemeine
Akzeptanz der Bahnplanungen bei vielen Tausend betroffenen Bürgern
geht. Die DB AG sieht ihre Zukunft vorrangig in den Gütertransporten.
Will sie sich ihren Spielraum und ihre ehrgeizigen Optionen für den
zukünftigen Güterzugverkehr offen halten, muss sie in eine akzeptable
Qualität ihrer Güterzugstrecken investieren.
Ein besonderes Ärgernis ist, dass der Gesetzgeber
dem Wirtschaftsunternehmen DB AG Sonderrechte beim Lärmschutz einräumt.
Die zulässigen Immissionsgrenzwerte sind viel zu hoch und lassen
häufig eine ungestörte Nachtruhe der lärmgeplagten Menschen
in den Anrainergemeinden nicht zu. Die IG BOHR fordert eine Gleichbehandlung
der Bahn mit anderen Lärmverursachern auf der Grundlage der Richtwerte
der Weltgesundheitsorganisation für Verkehrslärm. Diese liegen
bei einem Außenpegel von tags 55 dB(A) und nachts 45 dB(A) für
alle Gebiete, in denen Menschen wohnen. Ärgerlich ist auch, dass
sich die DB AG zudem noch einen „Schienenbonus“ von –
5 dB(A) unter der Maßgabe gutschreiben darf, dass Schienenverkehrslärm
weniger belästigend als anderer Verkehrslärm sei. Das ist zumindest
für Güterzüge mit dem üblicherweise auf Jahrzehnte
hinaus noch benutzten antiquierten Wagenmaterial und der dadurch bedingten
schlechten Schienenqualität gerade auch im Hinblick auf die hohen
Güterzugfrequenzen nicht mehr gerechtfertigt. Als Sofortmaßnahme
muss der Schienenbonus für Schienenstrecken, auf denen Güterzüge
verkehren, abgeschafft werden. Es ist auch nicht akzeptabel, dass Anwohner
an Altstrecken einen deutlich höheren Lärmpegel als Anwohner
an Neubaustrecken zu ertragen haben.
Der Gesetzgeber hat die DB AG u.a. hinsichtlich des Lärmschutzes
mit komfortablen Privilegien ausgestattet. Sie sorgen dafür, dass
sich die DB AG um eine Modernisierung ihres Wagenparks im Hinblick auf
leise Bremsen und Drehgestelle sowie um eine lärmmindernde permanente
Pflege ihrer Schienen nicht zu kümmern braucht. Es wäre dagegen
zukunftsweisend, laute Verkehrsteilnehmer aus dem Verkehr zu ziehen oder
mit drastischen Lärmstrafen zu belegen. Die einseitige Bevorteilung
der DB AG erlaubt es ihr, ihre Privilegien vor den Verwaltungsgerichten
erfolgreich einzuklagen. Diese Möglichkeit, Baumaßnahmen gegen
die berechtigten Interessen der Menschen durchzusetzen, muss ein Ende
haben. Die gesamte „Lex Bahn“ hat den Geruch gesetzgeberischer
Willkür zu Lasten der Bevölkerung, einzig und allein mit dem
Ziel, dem Staat Geld zu sparen. Sie gehört dringend abgeschafft.
Die Lärmschutzgesetzgebung insgesamt ist in Deutschland dringend
novellierungsbedürftig. Dies fordert die IG BOHR im Gleichklang mit
dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Bundesvereinigung
gegen Schienenlärm (BVS), der Bundesvereinigung gegen Fluglärm
(BVF), dem Deutschen Arbeitsring für Lärmbekämpfung (DAL)
und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD).
Ein weiterer Umstand, der Sorge bereitet, sind die Bestrebungen,
die DB AG börsenfähig zu machen. Dies ist allenfalls für
den Bahnbetrieb sinnvoll, nicht jedoch für das Schienennetz. Hier
finanziert der Steuerzahler die Infrastruktur, damit Aktionäre daran
verdienen können. So ist zu befürchten, dass die auf Profitmaximierung
ausgerichteten Randbedingungen des Börsengeschäfts zu einem
Kaputtsparen des Schienennetzes führen werden, u.a. zu Lasten des
Lärmschutzes. Es ist daher dringend geboten, den Bahnbetrieb vom
Schienennetz zu trennen und dem Staat die volle Zuständigkeit für
diese wichtige nationale Infrastruktur zurückzugeben. Die Verantwortung
des Staates für die Schieneninfrastruktur ist in praktisch in allen
Ländern Europas mit gutem Grund der Standard.
Die Bevölkerung an Ober- und Hochrhein, die die Folgen
der NEAT zu tragen hat, fordert eine menschen- und umweltfreundliche Streckenrealisierung.
Dabei ist es nicht verboten, über das Maß der gesetzlichen
Anforderungen hinauszugehen. Ein Sonderfall ist kein Präzedenzfall
und bedarf einer besonderen Lösung. Die deutsche Politik muss sich
endlich ernsthaft in Brüssel um eine angemessene Förderung der
Baumaßnahme bemühen, wenn sie nicht selbst in der Lage ist,
die erforderlichen Investitionsmittel für eine akzeptable Streckenqualifizierung
aufzubringen.
In der Zusammenfassung fordert die IG BOHR mit dieser
Resolution:
- eine unterirdische Trasse für Offenburg
oder die Westumfahrung
- kein Gleisausbau durch Herbolzheim/Kenzingen
- eine unterirdische Trasse im Nördlichen
Markgräflerland
- die Verschiebung des Katzenbergtunnels nach Osten
bei Tieferlegung der Trasse
- keinen Hochrhein-Bypass
- einen gerechten Ausgleich für die Lasten
durch den viergleisigen Ausbau der Rheintalbahn
- die Abschaffung der „Lex-Bahn“ zur
Gleichbehandlung der DB AG mit anderen Lärmerzeugern
- die volle Verantwortung des Staates für
das Schienennetz
Der berühmte Arzt Dr. Robert Koch (1843-1910) sagte
einmal: "Eines Tages wird der Mensch den Lärm ebenso bekämpfen
müssen wie die Cholera und die Pest." - Heute ist es soweit:
Wenn wir nicht endlich energisch gegen die "Lärm-Pest"
kämpfen, zerstört sie unsere Lebensqualität!
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